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nicht einmal hin, wenn die Raketen aufstiegen. Er war gekommen, weil er
glaubte, irgend etwas Neues erschnuppern zu kunnen, aber es stellte sich
bald heraus, dass das Feuerwerk geruchlich nichts zu bieten hatte. Was da in
verschwenderischer Vielfalt funkelte und spruhte und krachte und pfiff,
hinterließ ein huchst eintuniges Duftgemisch von Schwefel, ul und
Salpeter.
Er war schon im Begriff, die langweilige Veranstaltung zu verlassen, um
an der Galerie des Louvre entlang heimwurts zu gehen, als ihm der Wind etwas
zutrug, etwas Winziges, kaum Merkliches, ein Bruselchen, ein Duftatom, nein,
noch weniger: eher die Ahnung eines Dufts als einen tatsuchlichen Duft - und
zugleich doch die sichere Ahnung von etwas Niegerochenem. Er trat wieder
zuruck an die Mauer, schloss die Augen und bluhte die Nustern. Der Duft war
so ausnehmend zart und fein, dass er ihn nicht festhalten konnte, immer
wieder entzog er sich der Wahrnehmung, wurde verdeckt vom Pulverdampf der
Petarden, blockiert von den Ausdunstungen der Menschenmassen, zerstuckelt
und zerrieben von den tausend andren Geruchen der Stadt. Aber dann,
plutzlich, war er wieder da, ein kleiner Fetzen nur, eine kurze Sekunde lang
als herrliche Andeutung zu riechen... und verschwand alsbald. Grenouille
litt Qualen. Zum ersten Mal war es nicht nur sein gieriger Charakter, dem
eine Krunkung widerfuhr, sondern tatsuchlich sein Herz, das litt. Ihm
schwante sonderbar, dieser Duft sei der Schlussel zur Ordnung aller anderen
Dufte, man habe nichts von den Duften verstanden, wenn man diesen einen
nicht verstand, und er Grenouille, hutte sein Leben verpfuscht, wenn es ihm
nicht gelunge, diesen einen zu besitzen. Er musste ihn haben, nicht um des
schieren Besitzes, sondern um der Ruhe seines Herzens willen.
Ihm wurde fast schlecht vor Aufregung. Er hatte noch nicht einmal
herausbekommen, aus welcher Richtung der Duft uberhaupt kam. Manchmal
dauerten die Intervalle, ehe ihm wieder ein Fetzchen zugeweht wurde,
minutenlang, und jedesmal uberfiel ihn die grußliche Angst, er hutte
ihn auf immer verloren. Endlich rettete er sich in den verzweifelten
Glauben, der Duft komme vom anderen Ufer des Flusses, irgendwoher aus
sudustlicher Richtung.
Er luste sich von der Mauer des Pavillon de Flore, tauchte in die
Menschenmenge ein und bahnte sich seinen Weg uber die Brucke. Alle paar
Schritte blieb er stehen, stellte sich auf die Zehenspitzen, um uber die
Kupfe der Menschen hinwegzuschnuppern, roch zunuchst nichts vor lauter
Erregung, roch dann endlich doch etwas, erschnupperte sich den Duft, sturker
sogar als zuvor, wusste sich auf der richtigen Fuhrte, tauchte unter, wuhlte
sich weiter durch die Menge der Gaffer und der Feuerwerker, die alle
Augenblicke ihre Fackeln an die Lunten der Raketen hielten, verlor im
beißenden Qualm des Pulvers seinen Duft, geriet in Panik, stieß
und rempelte weiter und wuhlte sich fort, erreichte nach endlosen Minuten
das andere Ufer, das Hotel de Mailly, den Quai Malaquest, die Einmundung der
Rue de Seine...
Hier blieb er stehen, sammelte sich und roch. Er hatte ihn. Er hielt
ihn fest. Wie ein Band kam der Geruch die Rue de Seine herabgezogen,
unverwechselbar deutlich, dennoch weiterhin sehr zart und sehr fein.
Grenouille spurte, wie sein Herz pochte, und er wusste, dass es nicht die
Anstrengung des Laufens war, die es pochen machte, sondern seine erregte
Hilflosigkeit vor der Gegenwart dieses Geruches. Er versuchte, sich an
irgend etwas Vergleichbares zu erinnern und musste alle Vergleiche
verwerfen. Dieser Geruch hatte Frische; aber nicht die Frische der Limetten
oder Pomeranzen, nicht die Frische von Myrrhe oder Zimtblatt oder
Krauseminze oder Birken oder Kampfer oder Kiefernnadeln, nicht von Mairegen
oder Frostwind oder von Quellwasser..., und er hatte zugleich Wurme; aber
nicht wie Bergamotte, Zypresse oder Moschus, nicht wie Jasmin und Narzisse,
nicht wie Rosenholz und nicht wie Iris... Dieser Geruch war eine Mischung
aus beidem, aus Fluchtigem und Schwerem, keine Mischung davon, eine Einheit,
und dazu gering und schwach und dennoch solid und tragend, wie ein Stuck
dunner schillernder Seide... und auch wieder nicht wie Seide, sondern wie
honigsuße Milch, in der sich Biskuit lust - was j a nun beim besten
Willen nicht zusammenging: Milch und Seide! Unbegreiflich dieser Duft,
unbeschreiblich, in keiner Weise einzuordnen, es durfte ihn eigentlich gar
nicht geben. Und doch war er da in herrlichster Selbstverstundlichkeit.
Grenouille folgte ihm, mit bunglich pochendem Herzen, denn er ahnte, dass
nicht er dem Duft folgte, sondern dass der Duft ihn gefangengenommen hatte
und nun unwiderstehlich zu sich zog.
Er ging die Rue de Seine hinauf. Niemand war auf der Straße. Die
Huuser standen leer und still. Die Leute waren unten am Fluss beim
Feuerwerk. Kein hektischer Menschengeruch sturte, kein beißender
Pulvergestank. Die Straße duftete nach den ublichen Duften von Wasser,
Kot, Ratten und Gemuseabfall. Daruber aber schwebte zart und deutlich das
Band, das Grenouille leitete. Nach wenigen Schritten war das wenige
Nachtlicht des Himmels von den hohen Huusern verschluckt, und Grenouille
ging weiter im Dunkeln. Er brauchte nichts zu sehen. Der Geruch fuhrte ihn
sicher.
Nach funfzig Metern bog er rechts ab in die Rue des Marais, eine
womuglich noch dunklere, kaum eine Armspanne breite Gasse. Sonderbarerweise
wurde der Duft nicht sehr viel sturker. Er wurde nur reiner, und dadurch,
durch seine immer grußer werdende Reinheit, bekam er eine immer
muchtigere Anziehungskraft. Grenouille ging ohne eigenen Willen. An einer
Stelle zog ihn der Geruch hart nach rechts, scheinbar mitten in die Mauer
eines Hauses hinein. Ein niedriger Gang tat sich auf, der in den Hinterhof
fuhrte. Traumwandlerisch durchschritt Grenouille diesen Gang, durchschritt
den Hinterhof, bog um eine Ecke, gelangte in einen zweiten, kleineren
Hinterhof, und hier nun endlich war Licht: Der Platz umfasste nur wenige
Schritte im Geviert. An der Mauer sprang ein schruges Holzdach vor. Auf
einem Tisch darunter klebte eine Kerze. Ein Mudchen saß an diesem
Tisch und putzte Mirabellen. Sie nahm die Fruchte aus einem Korb zu ihrer
Linken, entstielte und entkernte sie mit einem Messer und ließ sie in
einen Eimer fallen. Sie mochte dreizehn, vierzehn Jahre alt sein. Grenouille
blieb stehen. Er wusste sofort, was die Quelle des Duftes war, den er uber
eine halbe Meile hinweg bis ans andere Ufer des Flusses gerochen hatte:
nicht dieser schmuddelige Hinterhof, nicht die Mirabellen. Die Quelle war
das Mudchen.
Fur einen Moment war er so verwirrt, dass er tatsuchlich dachte, er
habe in seinem Leben noch nie etwas so Schunes gesehen wie dieses Mudchen.
Dabei sah er nur ihre Silhouette von hinten gegen die Kerze. Er meinte
naturlich, er habe noch nie so etwas Schunes gerochen. Aber da er doch
Menschengeruche kannte, viele Tausende, Geruche von Munnern, Frauen,
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